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Prof. Haddadin, Sie haben kürzlich den renommierten Alfried-Krupp-Förderpreis für junge Wissenschaftler erhalten. Die Laudatio hebt den sensiblen Roboterarm hervor, den Sie entwickelt haben. Wo kommt dieser zum Einsatz?

Dieser Roboterarm, der im Gegensatz zu Industrierobotern mit einem dem Menschen nachempfundenen Tastsinn ausgestattet ist, findet schon seit einigen Jahren weltweiten Einsatz in zahlreichen Forschungslaboren und Realanwendungen. Er entstand ursprünglich am Robotik und Mechatronik Zentrum des DLRs und ging dann in einem Technologietransfer an die Firma KUKA, die ihn unter dem Namen LBR iiwa zur Marktreife gebracht hat. Das System gilt als das erste seiner Art und hat einerseits das Thema MRK, also die sichere Mensch-Roboter-Koexistenz und -Kollaboration, anderseits die feinfühlige Montage erstmals in Realanwendung gebracht.

Was entwickeln Sie aktuell?

Meine derzeitigen Arbeiten zielen auf den Sprung vom grundsätzlich feinfühligen Roboter zum intelligenten Assistenten ab, der einerseits so intuitiv und flexibel einsetzbar ist wie noch kein System vor ihm, insbesondere aber so simpel wie ein iPhone und damit für jedermann bedienbar. Dieses System ist nicht nur für neuartige industrielle Anwendungen gedacht, zum Beispiel im 3C-Markt oder der Logistik, sondern auch für den Einsatz im professionellen Service-, Healthcare- und mittelfristig auch Home-Bereich.

Sie haben 2015 als „das Jahr der Mensch-Roboter-Kollaboration“ (MRK) bezeichnet. Warum gerade dieses Jahr?

Wenn man die wirklich bemerkenswerten Entwicklungen in der weltweiten MRK-Robotik, aber auch die immer größer werdende Akzeptanz gegenüber dieser Technologie betrachtet, dann ist über die letzten zehn Jahre ein enormer Fortschritt zu verzeichnen. Der mündete 2015 in einigen hochinteressanten Ereignissen, die den zunehmenden Einsatz der MRK-Technologie untermauern: zum Beispiel die Markteinführung zahlreicher neuer MRK-Systeme, die Finalisierung wichtiger internationaler Richtlinien und Normen für die sichere MRK, aber auch technologische und wissenschaftliche Durchbrüche.

Bemerkenswert finde ich ebenso, dass sich Kollegen der Rechtswissenschaften nun sehr intensiv und konstruktiv mit dem Thema MRK auseinandersetzen. Das ist aus meiner Sicht von großer Bedeutung für den flächendeckenden realen Einsatz und auch für die weitere Akzeptanz der Technologie.

Viele Menschen haben Angst vor Robotern. Mit der wachsenden Autonomie moderner Robotersysteme wird diese sicher nicht kleiner. Sind die menschlichen Mitarbeiter auch schon reif für die Kollaboration?

Die Sorgen der Menschen sollten sehr ernst genommen werden. Es ist an uns, aufzuzeigen wie Robotertechnologie dem Menschen hilft und in der Zukunft noch mehr helfen kann. Aktive Aufklärung und Berührung mit der Technologie im wahrsten Sinne des Wortes sind hier von großer Bedeutung. Die Menschen sollen sich mit dem Thema auseinandersetzen und ihr eigenes informiertes Bild machen können. Aus meiner Erfahrung sind die Reaktionen auf kollaborierende Roboter in der Regel sehr positiv und der Roboter wird als das verstanden, was er ist: ein flexibel einsetzbares und hilfreiches Werkzeug, das uns bei schwieriger und anstrengender Arbeit derart unterstützt, dass Mensch und Roboter gemeinsam völlig neue Arbeitsprozesse abbilden können.

In China, Japan, den USA und auch Deutschland expandiert der Robotermarkt stark. Was treibt die Entwicklung – heute und in naher Zukunft?

Die Gründe des derzeitigen Wachstums sind vielfältig. Einerseits werden neue Branchen der General Industry wie die Logistik erschlossen, aber auch Sektoren der bisher nahezu vollständig manuellen Fertigung wie beispielsweise der Flugzeugbau. Zudem beschleunigt der bevorstehende Fachkräftemangel, den Einsatz wandlungsfähiger Systeme wie eben der MRK-Roboter. Auch die zunehmende Vernetzung von Produktionssystemen im Rahmen der Industrie 4.0 treibt den Einsatz von Robotersystemen stark voran.

In den Schwellenländern hat insbesondere der Anstieg der Lohnkosten und der damit verbundenen Probleme bei der rein manuellen Fertigung zu einem starken Umdenken geführt. In China wird nun beispielsweise stark auf Automatisierung durch Roboter gesetzt und enorm investiert, sowohl in der Industrie als auch in der Forschung. Der mit Abstand größte Markt der Welt, der 3C-Sektor, der ja größtenteils in China angesiedelt ist, gilt nun als das große Anwendungsfeld feinfühliger und interaktiver Roboter.

Welche Branchen liegen bei der Anwendung von Robotern vorn? Was tut sich im Maschinenbau?

Der Automobilsektor hat diese Führungsposition natürlich immer noch inne und ist auch nach wie vor der große Treiber beim Einsatz kollaborierender MRK-Roboter. Der 3C-Sektor holt derzeit jedoch massiv auf und investiert enorm in Robotertechnologie, sowohl in klassische als auch kollaborative Systeme. Des Weiteren haben die Fortschritte in den Themen Mobiltät und Autonomie die Logistik zu einem weiteren starken Wachstumssektor werden lassen, deren Potential zweifelsohne sehr hoch ist.

Beim Maschinenbau ist die Robotik sicherlich von immer zentralerer Bedeutung, insbesondere auch mit Hinblick auf das Thema Vernetzung und Flexibilisierung der Fertigung.

Wo sehen Sie Deutschland im Vergleich zu anderen Industrienationen in der Robotik?

Ich sehe uns gemeinsam mit den USA und Japan in den Top 3, wobei die Kompetenzprofile natürlich variieren. Zahlreiche Innovationen der letzten Jahre haben jedoch eindeutig ihren Ursprung in Deutschland. Beispielsweise ist das Thema MRK sehr eng mit unserer Forschung und Industrie verbunden. Sowohl die Grundlagen, die Kommerzialisierung als auch der erstmalige Einsatz der Systeme haben bei uns stattgefunden, sie finden nun seit einigen Jahren entsprechende Nachahmung. Andererseits sind in den USA und Japan derzeit enorme Anstrengungen zu verzeichnen, nicht nur durch Investitionen in innovative Robotik-Startups, sondern insbesondere auch durch den Einstieg von Global Playern wie Google, Amazon, oder auch Toyota mitsamt ihrer Akquisition führender Robotertechnologie und Experten, auch aus Deutschland. An dieser Stelle müssen wir darauf achten, dass unsere Technologie samt Knowhow auch bei uns zur Wertschöpfung beitragen und neue Märkte sowie die entsprechenden Arbeitsplätze vor Ort entstehen.

Wie und wo kann der Mittelstand von der Entwicklung profitieren?

Sicher werden in naher Zukunft auch vermehrt kleine und mittelständische Unternehmen von den enormen Technologiesprüngen profitieren. Bisher findet der Einsatz von Robotern dort ja eher sporadisch statt. Mit dem zunehmend flexiblen Einsatz komplexer Technologie und den nach und nach sinkenden Preisen eröffnen sich hier immense Potentiale.

Die Leibniz-Universität und weitere Partner wollen Hannover zu einem der bundesweit führenden Robotikstandorte machen. Dazu hat das Institut für Regelungstechnik unter Ihrer Leitung ein Konzept mit dem Namen „Roboterfabrik“ entwickelt. Was ist das?

Die derzeitige technische Entwicklung in der Robotik, die einhergeht mit einem Paradigmenwechsel weg vom starren Industrieroboter hin zu nachgiebigen, intrinsisch sicheren Robotern, verbunden mit neuen, einfacheren Programmiertechniken, eröffnen der Robotik eine Vielzahl völlig neuer Anwendungsfelder, insbesondere im menschlichen Umfeld oder bei Montagearbeiten, die große Feinfühligkeit erfordern. Um dieser generellen Entwicklung und dem damit einhergehenden regionalen wie auch nationalen Bedarf an qualifizierten Fachkräften nachzukommen, hat die Leibniz Universität Hannover (LUH) das Konzept der „Roboterfabrik“ entwickelt – in Kooperation mit dem Roberta Regiozentrum, einer von der Region Hannover geförderten Einrichtung, die es Schülerinnen und Schüler ermöglicht Robotertechnologie kennenzulernen. Das Ziel der „Roboterfabrik“ ist es der kommenden Generation der „Robotic Natives“ ein integriertes und durchgängiges Ausbildungsangebot zu bieten, das den Brückenschlag von der Schule bis in die Robotik-Ausbildung an der LUH schafft.

Ihr Partner bei diesem Projekt ist KUKA. Wie sieht es insgesamt mit der Zusammenarbeit zwischen Forschung und Roboterindustrie aus?

Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass sie sehr gut in Deutschland funktioniert und zentrale Erfolge dadurch erst möglich wurden. Ich glaube zum Beispiel kaum, dass das Thema MRK und sensitive Roboter heute so präsent wären, wenn dies nicht funktionieren würde. Gerade in Deutschland hat die enge und vertrauensvolle Interaktion und Kooperation zwischen Forschung und Industrie Tradition und wird weltweit sehr geschätzt. Deutschland besitzt viele hochinnovative Unternehmen vom kleinen Mittelständler bis zum Global Player, die eng mit den Forschungsstandorten arbeiten. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir noch eine sehr aktive und erfolgreiche High-Tech Startup-Kultur bei uns wünschen, die einerseits durch Risikokapitalgeber aber auch durch unsere starke Industrie und ihre entsprechenden Möglichkeiten aktiv unterstützen. Dadurch wäre sicherlich ein zentraler Baustein für die Innovationen der Zukunft, nicht nur in der Robotik, gelegt.

Spielt die HANNOVER MESSE eine Rolle dabei?

Die Hannover Messe ist traditionell eine jährliche Standortbestimmung der gesamten Industrie. Sie ist eine international sichtbare Plattform, um nicht nur dem Fachpublikum, sondern auch einer breiten Öffentlichkeit Innovationen zugänglich und erfahrbar zu machen. Durch die Wahl ihrer Schwerpunkte kann sie demnach Akzente setzen, dadurch Richtungen beeinflussen und natürlich auf die aktuell und zukünftig relevanten Themen maßgeblichen Einfluss nehmen. Die Robotik hat aus meiner Sicht durch die große Präsenz auf der Hannover Messe 2015 sehr an Sichtbarkeit und Relevanz gewonnen. Ich erhoffe mir von der Hannover Messe 2016 einen weiteren Sprung nach vorne. Ich bin auch überzeugt, dass innovative und bisher nie dagewesene Technologien dort erstmalig präsentiert werden.

Das Interview führte das Redaktionsteam der HANNOVER MESSE.