Der digitale Lohnfertiger
Im Flur vor Marco Bauers Büro kleben neongelbe, rote, blaue und grüne Post Its - nicht drei bis vier, sondern die ganze Wand ist mit Aufgaben verdeckt. Das Unternehmen wächst, stellt wöchentlich neue Mitarbeiter ein, baut gerade eine eigene Kinderbetreuung auf, erweitert die Produktionshallen, kauft neue Maschinen und etabliert digitale Fertigungsprozesse.
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Jeden Tag kommen neue Post Its dazu. Aus Mangel an freien Wandflächen ist man kürzlich von Papier-Zetteln auf eine digitale Lösung umgestiegen.
Das Unternehmen BAM aus Weiden ist ein Lohnfertiger mit mehr als 40 Maschinen namhafter Hersteller für zerspanende und additive Fertigungsverfahren sowie Blechbearbeitung und vor allem Softwarekompetenz. Als klassischer Lohnfertiger geht Bauers Firma heute nicht mehr durch. Vor neun Jahren war das noch anders. Damals übernahm der Informatiker einen Acht-Mann-Betrieb mit vier Maschinen. „Der einen Hälfte war es wurscht, was ich verändere. Die sagten sich, der wird schon wissen was er macht. Die andere Hälfte war Feuer und Flamme für meine Ideen.“ Sechs von den Acht stehen heute noch in der Fertigung, zwei sind mittlerweile in Rente. Heute sind es über 150 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die einem großen Teil einer ehemaligen Batteriefabrik im Gewerbegebiet Weiden-West neues Leben einhauchen.
In die Nische gehen
„Ich hatte vom Drehen und Fräsen keine Ahnung“, erklärt Bauer. Womit sich der studierte Wirtschaftsinformatiker und damalige EDV-Systembetreuer aber auskannte waren digitale Prozesse. „Bei meinem alten Arbeitgeber sicherten wir 2010 noch auf Disketten“, lacht der Bayer. Sein Anspruch war ein anderer. Ein Onlineshop im Fertigungsumfeld war schon von Anfang an gesetzt. Er kaufte den Lohnfertiger, reiste durch den Landkreis und suchte Mitstreiter für seine Digitalisierungspläne. Doch keiner wollte Bauers Weg mitgehen. „Wir fingen also alleine an.“
Bauers Hauptaugenmerkt für den Onlineshop lag auf dem Fertigungsprozess. „Wenn Sie heute irgendwo ein Bauteil bestellen, dann hängt der Preis ganz viel von weichen Faktoren ab. Ein Mensch kalkuliert das Bauteil, ist mal schlecht gelaunt, mal motiviert, mal selbstbewusst. Diese Faktoren beeinflussen den Fertigungsplan, den Preis. Das wollten wir ändern.“ Bauer und sein Team haben einen Weg gefunden, in wenigen Sekunden automatisiert einen Arbeitsplan und einen Preis kalkulieren zu lassen. „Das spart Zeit bei der Arbeitsvorbereitung, reduziert Rüstzeiten, optimiert den Verwaltungsaufwand und macht uns schneller und günstiger gegenüber dem Wettbewerb“, erklärt Bauer stolz. Seine Kunden kommen aus unterschiedlichen Branchen - Chemie, Labortechnik, Elektronikindustrie, Sensorik und auch ambitionierte Privatbastler ordern mittlerweile online ihre Teile bei mipart, der On Demand Manufacturing Plattform von BAM. Bauers Erfolg: Im B2B-Markt in die Nische zu gehen und einen B2C-Markt aufzubauen. „Zum Glück liefern wir nicht in die Automobilindustrie“, scherzt Bauer. Die Losgrößen in den Märkten B2B und B2C sind nahezu identisch. „Mit Losgröße 1 fühlen wir uns sehr wohl und auch 50 Teile machen wir gerne“, gibt Bauer als Ziel aus. Der KI-basierte Onlineshop ist ein wichtiger, aber nicht der letzte Schritt bei der automatisierten Fertigung von Losgröße 1.
Kern der Softwarelösung sind die automatisierte Geometrieanalyse, Machine Learning-Algorithmen und menschliches Know-how. Binnen weniger Sekunden analysiert die Software jedes Bauteil. Die Oberpfälzer haben ihre Domänenexperten, die Männern und Frauen aus der Fertigung, in den Entwicklungsprozess intensiv eingebunden, indem sie diese im Vorfeld tausende von Bauteilen definieren ließen - in einem Tinder-Verfahren "schwierig zu fertigen", "leicht zu fertigen". Das Resultat ist eine Software für die Erstellung eines konkreten Arbeitsplans sowie der Preis für die Fertigung des Bauteils. Mit jedem Bauteil lernt die Software dazu, optimiert selbstständig und fortlaufend den Algorithmus. Aus der Software entwickelte sich ein eigenes Unternehmen up2parts, da die Lösung auch neue Partner anlockte.
Aus der Industrie kommt viel Lob für die Oberpfälzer. 3D-Konstruktionsdaten könnten schnell erfasst und Fertigungszeiten in Kürze berechnet werden. Die Lösung etabliere völlig neue Prozesse, die Zeit und Geld sparen würden, heißt es.
Digitale und analoge Prozesse
Die Weidener freuen sich über das Lob. Doch Marco Bauer und sein Team sind noch nicht fertig mit der Digitalisierung. „Wir haben auch noch viele analoge Prozesse. Im Vertrieb und der Kalkulation von Bauteilen sind wir sicher Vorreiter. An den Maschinen nutzen wir Robotik-Systeme, die für eine automatisierte Fertigung die Grundlage sind. Unsere aktuellen Herausforderungen sind der automatisiert generierte NC-Code in der Konstruktion und die Automatisierung in der Qualitätssicherung und im Versand. Der digitale und der analoge Prozess treffen sich im CAM-Bereich.“
Dort konstruieren Mitarbeiter auch für additive Fertigungsverfahren. „Die additive Fertigung ist eine Ergänzung für bestehende Verfahren. Es mangelt noch an der Oberflächengüte und die Automatisierung der Nachbearbeitung fehlt an vielen Stellen noch“, meint Bauer generell mit dem Blick auf die Branche. Es mangele vor allem an Mitarbeitern, die additiv-gerecht konstruieren könnten. „Wir sind an den Berufs-und Hochschulen noch sehr auf die spanende Fertigung fokussiert.“ Kommt mit der Automatisierung der Fertigungsprozesse der Durchbruch für die additive Fertigung? „Das ist ein wichtiger Baustein, aber Oberflächengüte, Geschwindigkeit, Topologie Optimierung und vieles mehr spielen eine ebenso wichtige Rolle. Umso fertiger das Bauteil aus dem Drucker kommt, um so mehr lohnt sich der Einsatz der Technik.“
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