Die Astrophysiker im Werk
Dr. Theo Steininger und Dr. Maksim Greiner können Sterne vermessen. Das haben die beiden Astrophysiker aus München gelernt – mithilfe weniger Satellitendaten. Eine wissenschaftliche Karriere verfolgten die beiden nicht. Sie gründeten ein Unternehmen. Heute nutzen sie ihr Wissen für Small Data-Analyse in der Automobilindustrie.
Teilen
Ihr Unternehmen Erium gründeten sie 2017, erhielten Förderungen und erste Kundenprojekte, die sie oft in ihrer Freizeit bearbeiteten - die beiden durften im Hauptberuf noch Sterne vermessen, für die Max-Planck-Gesellschaft. "Eine wissenschaftliche Karriere war mir zu unberechenbar", erklärt Steininger. Selbstständigkeit bedeutet doch noch mehr Unsicherheit? "Wir hatten so viel Zuspruch aus der Industrie. Da hatten wir wenige Sorgen."
Heute sitzen die Gründer mit acht Kolleginnen und Kollegen in direkter Nachbarschaft zur TU München. Doch wie passen Astrophysiker und Industrieprozesse zusammen?
Satellitendaten sind beispielsweise sehr teuer, die Messungen sehr aufwendig. Deswegen bauen Wissenschaftler möglichst starke theoretische Modelle der Realität, um auch mit wenigen Daten Erkenntnisse zu erlangen. "Wie bei der Messung des Lichts eines Sterns." Die Forscher füllen ausgehend von einer "heilen Welt" das fehlende Wissen mit Statistik auf. "So macht das auch unsere Software in der Automobilindustrie."
Erium erarbeitet gemeinsam mit den Kunden, wie ein Prozess funktioniert, und kombiniert dabei die unbekannten Teile mit dem vorhandenen Experten- und Domänen-Wissen. Small Data statt Big Data. "Das Problem: Der Satellit ist super kalibriert. In der Industrie ist die Datenlage schwieriger. Wir finden unstrukturierte Datenbestände, aber auch schlechte und fehlerhafte Daten an sich, weil beispielsweise das Kabel eines Sensors defekt ist." Diese Fehlerquellen müssen identifiziert werden. Die Datenaufbereitung in der Industrie ist deshalb für das Team immer ein großes, schwieriges Thema. "Wenn man jetzt hergeht und von vornherein alle Daten in Betracht ziehen möchte, verliert man sich in den vorbereitenden Arbeiten." Lieber mit weniger Daten starten, raten die Experten.
Ein spannender Use-Case ihrer Software findet sich in der Automobilindustrie. "Dort helfen wir den Werkern bei der richtigen Positionierung von Anbauteilen - wie Türen, Heckklappe oder Kofferraumdeckel." Da tun sich die Kolleginnen und Kollegen schwer, weil die Scharniere zu einem Zeitpunkt verschraubt werden, an dem sich die Karosserie noch komplett im Rohbauzustand befindet – weder Lack, noch Scheibe oder Interieur sind vorhanden. Warum? Weil das Gegenstück des Scharniers auch über lackiert werden muss. "Prozessbedingt ist es erforderlich, die Montageposition zu einem Zeitpunkt festzulegen, an dem die Karosserie fast nur aus Blech besteht. Man kann sich leicht vorstellen, dass bei der Lackierung und Installation der Sonderausstattung, Gewichts- und Formveränderungen auftreten. Für ein stimmiges Erscheinungsbild - auch für die Geräuschentwicklung - ist es aber wichtig, dass beispielsweise Türen auf ein Zehntel Millimeter genau im Rahmen hängen.
Jetzt die Frage: Wie ist eine Tür einzuhängen, sodass sie nach Deformation und Absacken auf Zehntel Millimeter genau sitzt?", fragt Steininger und fragen auch seine Kunden. Momentan wird das Problem mithilfe manueller Nacharbeit gelöst. "Unser Kunde möchte natürlich so wenig Nacharbeit wie möglich haben. Deswegen gibt es eine permanente Iterationsschleife zwischen dem Finish und der Karosseriemontage, um die Sollwerte für den Montageroboter nach zu justieren. Das Problem ist dabei aber die Verzögerung." Was ist die Lösung? "Wir liefern eine Sollwertvorgabe für den Roboter auf Basis von Inlinemessungen. Das bedeutet, dass wenn aufgrund der Inlinemessungen nach dem Lackieren schon klar ist, dass sich der Prozess im Vergleich zum vorherigen Fahrzeug verändert hat, können wir live mit einer neuen Sollwertvorgabe für den Roboter reagieren. Und damit nehmen wir vor allem Stress für die Mitarbeitenden raus, die ansonsten immer den Druck haben, so schnell wie möglich auf Veränderung reagieren zu müssen."
Dahinter verbirgt sich aber keine Black-Box mit Machine Learning. "Das würde nicht funktionieren, weil wir damit viele tausend Datenpunkte bräuchten. Stattdessen haben wir gemeinsam mit den Ingenieuren ein statistisches Modell aufgebaut, das so viel an Expertenwissen beinhaltet, wie nur möglich. Wir nutzen aus, dass die Messpunkte am Fahrzeug räumlich zusammenhängen." Konkret bedeutet das: "Wenn sich die Tür zum Beispiel verdreht, entspricht das einer Rotation aller Messpunkte gemeinsam. Zusammenhänge dieser Art sagen extrem viel über die Struktur, die in diesen Daten steckt, aus. Und über dieses Modell sind wir in der Lage, bereits mit wenigen Datenpunkten sowohl Vorhersagen als auch Handlungsempfehlungen zu errechnen. Letzteres bedeutet, dass wir den Montagerobotern die richtigen Sollwerte vorgeben."
Und nicht nur die Automobilindustrie interessiert sich für schnelle Small Data-Analysen. Im Rahmen verschiedener Use-Cases profitieren mittlerweile auch die Werkzeugmaschinen- und Additive Manufacturing Industrie, aber auch E-Commerce-Anbieter.
Aussteller zum Thema
Interesse an News zu Ausstellern, Top-Angeboten und den Trends der Branche?
Browser Hinweis
Ihr Webbrowser ist veraltet. Aktualisieren Sie Ihren Browser für mehr Sicherheit, Geschwindigkeit und eine optimale Darstellung dieser Seite.
Browser aktualisieren