Europas next supermodel oder wie man mit Delfinen redet
Schweden ist das Partnerland der HANNOVER MESSE 2019. Eine logische Wahl, denn die nordischen Länder und allen voran Schweden liegen bei Technologie-, Innovations- und Startup-Rankings stets auf den vorderen Plätzen. Neben einem Königshaus mit einer in der eigenen Bevölkerung und in den Medien beliebtenThronfolgerin, den idyllischen Midsommar-Feiern und Michel von Lönneberga ist Schweden auch über Nordeuropa hinaus bekannt für Marken wie IKEA, Spotify oder Skype. Also das Vorbild für alle?
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Die Ziele, die sich die Schweden setzen, lassen auch in Technologie und Forschung auf hor-chen. Zum Beispiel in der Forschung zur Künstlichen Intelligenz. Aktuell bereitet die Gavagai AB, ein schwedisches Startup, eine Revolution vor. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Analyse und Übersetzung von Sprachen mithilfe von KI-Anwendungen. Das ehrgeizige Ziel: Man will bis 2021 gemeinsam mit der Königlich Technischen Hochschule (KTH) die Sprache der Delfine für Menschen verständlich machen, so Gründer Jussi Karlgren. Das Jahr 2021 klingt ambitioniert, aber angesichts der aktuellen Meldungen zur Energiewende in Schweden relativiert sich das. Schweden erfüllt offensichtlich langfristige Ziele deutlich schneller. Zusammen mit dem Nachbarn Norwegen hatte sich das skandinavische Land 2012 darauf verständigt, bis 2020 die regenerative Stromerzeugung um 28,4 Terawattstunden (TWh) zu erhöhen. Das schwedische Parlament verschärfte die eigenen Ziele dann im Jahr 2017 und beschloss einen weiteren Ausbau der Erneuerbaren um 18 TWh bis 2030. Wie das Weltwirtschaftsforum jetzt berichtet, liegt dieses Ziel bereits Ende 2018 in greif barer Nähe. Schweden als das Land, in dem die Zukunft bereits heute stattfindet? Zumindest ist dies die Erklärung von Politikwissenschaftlern für die Ausstrahlung des Schwedischen Modells.
Also „The Next Supermodel“? Diese Beschreibung für Schweden stammt nicht von Marketingagenturen, sondern wurde vom durchaus für kritische Blicke bekannten Economist getroffen. Der Economist widmete den skandinavischen Staaten 2013 ein Sonderheft mit dieser Überschrift. Die EU-Kommission beobachtet das Schwedische Modell als Vorbild, um auf Krisen besser vorbereitet zu sein oder zu verstehen, wie der Wohlfahrtsstaat mit der Marktwirtschaft gut zusammengehen kann. Fakten oder nur das Ergebnis der kollektiven Swetopia, wie der Berliner Nordeuropaexperte Bernd Henningsen einmal kritisch anmerkte? Fakt ist: Schweden hat sich von den wirtschaftlichen Schocks der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre schnell erholt und führt seit Jahren Innovationsindex, Digitalisierungsranking und Startup-Bilanzen an.
Der Norden liegt eben bei Innovationen ganz oben. Tatsächlich ist Schweden laut EU-Innovationsindex 2018 das innovativste Land der EU-Mitgliedsstaaten, gefolgt von den Nachbarn Dänemark und Finnland. Diese Spitzenposition ist kein einmaliges Ereignis. Die tragenden Säulen dieses Ergebnisses sind in Schweden nach der Bewertung der EU die herausragenden Leistungen beim Innovationsklima, bei der Aus- und Weiterbildung sowie die Forschungslandschaft. Und: Nicht zu vergessen die Fähigkeit zur Vernetzung gerade von mittelständischen Unternehmen und deren Beitrag zur Forschung.
Blickt man auf die Liste der Top-Themen auf der wirtschaftlichen Agenda, dann fallen da die Begriffe Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Industrie 4.0. Und wie ist Schweden hier unterwegs? Schweden spielt bei der Digitalisierung – natürlich – ganz vorne mit. Das Land setzt auf eine nationale, digitale Gesamtstrategie und auf den Ausbau schneller Glasfasernetze. Das erste Strategiepapier der IT-Kommission der schwedischen Regierung wurde bereits in den 90er-Jahren verabschiedet, um eine „Information Society for all“ zu schaffen. Das hat Schweden laut Experten im Vergleich zu Deutschland in Sachen Digitalisierung einen Vorsprung von mehr als zehn Jahren gebracht. Bis 2020 sollen in Schweden für 90 Prozent aller Privathaushalte Breitband-Übertragungsgeschwindigkeiten von mindestens 100 Mbps (Megabit pro Sekunde) vorhanden sein. Schon im Jahr 2013 hatten mehr als 98 Prozent aller Arbeitsstätten und Haushalte Zugang zu Mobilfunknetzen mit 4G-Standard.Bereits 2013 wurde die Initiative Produktion 2030 gestartet. Ziel ist, Schweden bis zum Jahr 2030 zum Vorreiter in nachhaltiger Produktion zu machen und das vor allem mit Einsatz von Digitalisierung und Industrie-4.0-Konzepten. Und hier zeigt sich auch der ganzheitliche Ansatz. Neben Effizienz steht auch die Nachhaltigkeit im Fokus der Innovationsanstrengungen. Für den Blick über den Tellerrand der reinen Automatisierung der Produktion hat Deutschland lange gebraucht. Für die Schweden scheint das selbstverständlich. Bekannt wurde Volvo Car, der als erster traditioneller Automobilhersteller 2017 die „Elektrifizierung“ seiner gesamten neuen Modellpalette bereits für 2019 angekündigt hatte. Damit entspricht Volvo auch der in der Strategie Produktion 2030 festgelegten Zielsetzung, in möglichst allen Bereichen der Wirtschaft sowie der gesellschaftlichen Entwicklungen nachhaltige Lösungen zu fördern. Obwohl Volvo einen chinesischen Eigentümer, Geely Cars, hat, wird das europäische Forschungs- und Entwicklungszentrum in Schweden bleiben.
Andere führende Branchen Schwedens sind die Stahlproduktion, Biotechnologien, Umwelttechnik und Medizintechnik.Stockholm war auch im Juli der Mittelpunkt einer weiteren Zukunftstechnologie: Die weltweit größte Konferenz für Künstliche Intelligenz IJCAI-ECAI-18 fand in der schwedischen Hauptstadt statt. In einer Studie von Accenture prognostizierten die Autoren für Schweden einen Produktivitätszuwachs durch den Einsatz und die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz von 37 Prozent bis zum Jahr 2035.
Von Beginn an Exportorientiert
Bei der Suche nach den Gründen für die schwedische Erfolgsgeschichte kommt man auch an die aktuellen Bedrohungen heran. Lena Sellgren, Chefvolkswirtin bei Business Sweden, der schwedischen Wirtschafts- und Handelskammer, blickt zum Beispiel mit Sorge auf die Protektionismus-Debatten, weil Schwedens Wirtschaft stark vom globalen Handel abhängig sei. Das war seinerzeit auch der Grund für den Aufstieg. Als kleiner Markt musste sich Schweden und die dortigen Unternehmen von Beginn an nach außen orientieren und sich internationaler Konkurrenz stellen. Wandel, disruptive Transformation und Innovationsimperativ sind schwedische Unternehmen also gewohnt. Trotzdem müssen die schwedische Wirtschaft und der Staat aufpassen. Denn trotz der beeindruckenden Bilanz der letzten Jahre und guter Daten im zweiten Quartal 2018 weist Schweden aktuell ein eher durchschnittliches BIP-Wachstum pro Kopf aus. Die Ursachen dafür sehen Ökonomen wie der Stockholmer Professor John Hassler im starken Bevölkerungszuwachs der vergangenen Jahre wegen starker Zuwanderung und starker Geburtenraten. Hassler und seine Kollegen erwarten denn auch Anstrengungen. Die Wirtschaft Schwedens profitiert seit Längerem von der konjunkturellen Erholung im Euroraum. Die rekordniedrigen Zinsen der schwedischen Reichsbank unterstützen einerseits die Wirtschaft, könnten aber den Immobilienmarkt heißlaufen lassen, was Sellgren befürchtet.
Zuversicht Dank einmaligen Innovationssytem
Für das Fraunhofer Institut IPT ist Schweden der ideale Testmarkt für Innovationen in Europa. Das Institut sieht die schwedische Stärke vor allem in den etablierten f lachen Unternehmenshierarchien, der f lexiblen Arbeitskultur und der technikaffinen Bevölkerung. Es herrsche eine eher ergebnis- denn prozessorientierte Arbeitsweise vor, eine gute Grundlage für Industrie 4.0, so die Fraunhofer-Experten. Aber nicht nur das. Die schwedische Eigenheit, ganzheitlich zu denken und auch von Beginn an über den Tellerrand zu blicken, zeigt sich auch beim Thema Innovationspolitik. Seit 2014 hat Schweden einen Nationalen Innovationsrat, der unter der Leitung des Ministerpräsidenten steht. Mitglieder von Regierung, Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und der Forschungsgemeinschaft arbeiten zusammen an einer ganzheitlichen Innovationspolitik – ressortübergreifend, interessenübergreifend, langfristig. Ziele sind die Verbesserung der Risikokapitalfinanzierung und die Einführung eines innovativen öffentlichen Beschaffungswesens. Dieser Rat hat für sich zudem das ehrgeizige Ziel formuliert, eine neue Innovationsstrategie zu entwickeln und dabei auch Arbeitsplätze zu schaffen, um bis 2020 auf die niedrigste Arbeitslosenrate in der EU zu kommen. Für die Wissensgesellschaft zeigt sich Schweden ebenso gerüstet.
Der Bildungssektor ist in Schweden auf Langfristigkeit und Innovationskultur ausgelegt. In der Schule wird Unternehmertum vermittelt und gefördert. Den Schwerpunkt legen die Schweden hier auf die Kreativität und eine produktive Fehlerkultur. Ideen generieren, ausprobieren, scheitern dürfen und neu ansetzen. Damit fördert man Innovationsgeist und Gründerkultur, wie bei Spotify, Klarna oder Skype zu sehen ist. Den Knowledge Economy Index der Weltbank führt Schweden ohnehin an, im Global Competitive Index des Weltwirtschaftsforums ist Schweden unter den Top 10 und der Global Creativity Index mit Wertungen von Talenten, F&E-Ausgaben und gesellschaftlicher Toleranz sieht Schweden unter den Top 5. Die gesellschaftliche Toleranz ist wohl das, was das Modell Schweden, den schwedischen Wohlfahrtsstaat, auf den Punkt bringt. Wissenschaftler aus Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaft, Soziologie und auch Innovationsforschung sind sich einig: Basis des Erfolges ist die Fähigkeit zu Konsens und Ausgleich. Die hohe Steuerlast in Schweden ist gesellschaftlich akzeptiert, weil darüber Teilhabe, Interessenausgleich und Gleichberechtigung erreicht werden. Die Schweden haben ein ausgeprägtes Vertrauen in die staatlichen Institutionen und auch die Medien. Eine Vertrauens basis, die Plattform für das Erkunden von Neuem schafft
Experimente wagen
Schweden gilt als eine Gesellschaft, die neue Technologien oder Innovationen aufgeschlossen ausprobiert. 1661 führte das Königreich Schweden als erstes Land in Europa Papiergeld ein. Für 2019 plant Schweden den Test einer eigenen Kryptowährung, der E-Krona. Die E-Krona wird wie die Digitalwährung Bitcoin auf den sogenannten Blockchains basieren. Von Schweden lernen kann man also recht viel. Digitalisierung, Innovationsgeist und Exportorientierung, aber auch die Einsicht, dass Technologie und Gesellschaft immer zusammen gedacht werden müssen. Die schwedischen Aussteller, die 2019 nach Hannover kommen, sollten alle Besucher gut im Auge behalten. Vielleicht ist der eine oder andere ja überrascht, wenn er entdeckt, dass ein Global Player aus Schweden stammt. Zumindest die New Yorker Börse hatte beim Börsengang von Spotify zunächst die Schweizer Flagge gehisst und erst nach einiger Verzögerung den Irrtum bemerkt. Vielleicht ist das auch das Ziel der KI-Forscher aus Stockholm: Schweden schnell über alle Welt als Innovations- und Technologieschmiede bekannt machen. Gavagai AB Gründer Jussi Karlgren will die Delfinsprache nicht nur aus sprachwissenschaftlichen und zoologischen Erwägungen heraus verständlich machen. Vielleicht, meint er, könnte das zukünftig auch dabei helfen, mit Außerirdischen zu kommunizieren. Wenn Schweden wirklich der Ort ist, an dem die Zukunft schon Gegenwart ist, dann sollten wir uns schon mal vorbereiten.
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