Passend zur aktuellen Diskussion um den Stahlstandort Deutschland hat das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) jetzt eine Studie vorgestellt, in der untersucht wurde, wie die weltweite Stahlindustrie ihren CO2-Ausstoß deutlich verringern kann. Denn eine solche Verringerung ist ein anerkannt wichtiger Ansatzpunkt im Kampf gegen die globale Erwärmung, da die Herstellung von Eisen und Stahl rund neun Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verursacht. In ihrer Studie analysierten die Forschenden des DLR-Instituts für Vernetzte Energiesysteme mit mehreren Szenarien, wie sich die Einführung neuer Technologien auf die Treibhausgasemission der weltweiten Eisen- und Stahlproduktion auswirken kann. Drei Technologien stehen dabei im Mittelpunkt: das Abscheiden und Speichern von CO2 (englisch: Carbon Capture and Storage, CCS), der Einsatz von Wasserstoff sowie die strombasierte Herstellung von Eisen.

Tiefgreifende Maßnahmen dringend erforderlich

„Die Studie zeigt, dass zeitnah umfassende und tiefgreifende Maßnahmen – flankiert von politischen Rahmenbedingungen auf internationaler Ebene – notwendig sind. Nur so kann die Defossilisierung der Stahlbranche ausreichend vorangetrieben und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland und Europa berücksichtigt werden. Elementare Voraussetzung ist zudem der schnelle und massive Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen“, fasst die DLR-Bereichsvorständin Energie und Verkehr Prof. Meike Jipp zusammen. „Dies auch vor dem Hintergrund, dass aufgrund des EU-Emissionshandels die Kosten für den Ausstoß von CO2 in Zukunft sukzessive steigen und dadurch die bisherigen Herstellungsverfahren verteuern werden. Deshalb gilt es, jetzt Anreize für neue Technologien zu setzen und diese umzusetzen.“

Abscheiden und Speichern von CO2 reicht nicht aus

Stahl wird in Hochöfen hergestellt. Als Energieträger kommt vor allem Koks, eine spezielle Art von Kohle, zum Einsatz. Der Ausstoß von CO2 bei der Stahlproduktion ist entsprechend hoch: Pro Tonne Stahl entstehen zwischen 1,6 und 2,2 Tonnen CO2. Rüstet man bestehende Hochöfen mit Technologien nach, die das CO2 abscheiden und speichern, kann der CO2-Ausstoß spürbar gesenkt werden. „Unsere Analyse zeigt, dass diese Technologien die Emissionen kurzfristig reduzieren können, weil CCS die Nachrüstung moderner bestehender Anlagen ermöglicht. Langfristig ist das Emissionsreduktionspotenzial von CCS jedoch unzureichend“, bilanziert DLR-Forscherin Carina Harpprecht. Sie hat mit Kolleginnen und Kollegen der Abteilung Energiesystemanalyse die DLR-Studie erstellt. „Die Elektrifizierung des Produktionsprozesses ist die Schlüsselstrategie, um Emissionen weitreichend zu senken“, erklärt Harpprecht weiter.

Wasserstoff ersetzt kohlenstoffhaltiges Koks

Die Herstellung von Eisen mit nachhaltig erzeugtem „grünen“ Wasserstoff gilt technologisch als vielversprechend. Der Wasserstoff ersetzt dabei das kohlenstoffhaltige Koks. Folglich entstehen fast keine CO2-Emissionen mehr bei der Eisenherstellung. Eine weitere Alternative ist noch wenig ausgereift: die Elektrolyse des Rohstoffs Eisenerz direkt mit Strom, auch als „Electrowinning“ bezeichnet. Sie hat den Vorteil, dass der Strom direkt zum Einsatz kommt. Denn nutzt man Strom, um zunächst Wasserstoff mittels Wasserelektrolyse zu erzeugen, ist die Energieeffizienz geringer und somit der CO2-Fußabdruck der Eisen- und Stahlproduktion potenziell höher.

Szenarien zeigen: Klimaziele stellen Stahlindustrie vor große Herausforderungen

2020 produzierte die weltweite Stahlindustrie bereits jährlich rund 1.600 Millionen Tonnen Rohstahl. Bis 2060 könnte die Stahlproduktion weltweit auf mehr als 2.600 Millionen Tonnen jährlich wachsen. Angesichts dieser Entwicklung können die globalen jährlichen Treibhausgas-Emissionen bis 2060 im besten Fall nur um bis zu 67 Prozent reduziert werden (von 3,4 Gigatonnen CO2-Äquivalente pro Jahr in 2020 auf 1,2 Gigatonnen in 2060). Restemissionen stammen vor allem aus CCS-Technologien, die sich im kostenoptimierenden Szenario durchsetzen, deren langfristiges Emissionsreduktionspotenzial jedoch unzureichend ist.

Es bleibt wenig Zeit

„Damit führt kein Szenario zum Ziel – sprich unter dem in dieser Studie für die weltweite Stahlbranche angesetzten Budget an CO2-Emissionen zu bleiben, um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen“, erläutert DLR-Expertin Carina Harpprecht. „Auch in der Stahlindustrie zeigt sich, wie wichtig die kommenden zehn Jahre für den Klimaschutz sein werden – und wie wenig Zeit bleibt, um neue Technologien weiterzuentwickeln und umzusetzen. Die hohen Investitionssummen in der Stahlindustrie und die noch lange Lebensdauer bestehender Hochöfen, potenziell kombiniert mit CCS, stellen große Herausforderungen dar.“

Stärker auf Wiederverwertung setzen

Würde man die Primärproduktion von Stahl auf nachhaltig gewonnenen Wasserstoff umstellen, könnten die kumulierten Treibhausgas-Emissionen der Stahlindustrie bis 2060 schätzungsweise um weitere 15 Prozent reduziert werden. Dies wäre jedoch immer noch nicht ausreichend für die Einhaltung des CO2-Budgets für das 1,5 Grad-Ziel in diesem Szenario-Rahmen. Der Sektor muss also eine schnellere und drastischere Defossilisierung und Emissionsreduzierung erreichen, die über die in den betrachteten globalen Szenarien projizierten Werte hinausgeht. Ein effizienter Hebel hierfür wäre es, die Erzeugung von Primärstahl zu senken und gleichzeitig stärker auf die Wiederverwertung von Stahl zu setzen.

CO2-arme Stahlindustrie benötigt viel erneuerbaren Strom

Ob Wasserstoff oder Electrowinning – die technologischen Alternativen für weniger Emissionen in der Stahlproduktion erhöhen den Bedarf an Strom aus erneuerbaren Quellen massiv: Schätzungsweise könnte der Strombedarf der deutschen Stahlindustrie im Jahr 2050 um bis zu fünfzehnmal so hoch sein wie heute, laut einer DLR-Studie über die deutsche Stahlindustrie.

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