Wer schützt den Algorithmus?
Zwischen den 50er Jahren und 2016 gab es rund 340.000 Patentanmeldungen im Bereich Künstliche Intelligenz. Davon entfielen die meisten Anmeldungen auf das maschinelle Lernen. Computer Vision führt die Anwendungsfälle mittlerweile an. Spannend aus industrieller Sicht: Zwischen 2013 und 2016 stiegen die Neuanmeldungen für Robotik und Kontrollverfahren um etwa 55 Prozent pro Jahr, was in etwa rund 10.000 Anmeldungen entspricht. Doch was können Unternehmen überhaupt schützen lassen?
10. Nov. 2019Teilen
Die Patentanwälte haben mehr zu tun. "In den letzten 18-24 Monaten spüren wir mehr Interesse bei unseren Mandanten", berichtet Patentanwalt Thomas L. Lederer aus München. Er schränkt aber ein: Die Anfragen betreffen meist sogenannte schwache KI, beispielsweise von Muster- oder Bilderkennung. In diesem Bereich steigen die Anmeldungen. Warum ist das spannend? Gegenwärtig melden vor allem große Unternehmen und viele Universitäten zahlreiche Patente an. "Aber: Die Patentanmeldung ist nicht gleich dem Patent", schränkt Lederer ein. In drei bis fünf Jahren würde sich zeigen, auf welche Patentanmeldungen überhaupt erfolgreich ein Patent erteilt werden wird. Die Zahlen werden also auch nach oben getrieben, um im KI-Rennen möglichst weit vorne zu stehen, heißt es bei Branchenbeobachtern. Darüber hinaus melden viele Mittelständler Patente gar nicht an – "weil Sie denken, KI-Anwendungen seien sowieso nicht schützenswert", so Lederer. Oder weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben, denn ein Patent muss so ausführlich beschrieben werden, dass ein technischer Experte dieses nachbauen kann - das öffnet Wettbewerbern, die das Patentrecht bewusst ignorieren, Tür und Tor. Davor scheuen viele Mittelständler zurück und hosten die Anwendungen lieber auf dem eigenen Server. Die Hoffnung: Da schaut schon keiner rein.
Allerdings gibt es nationale Unterschiede: "In den USA können Unternehmen sogenannte Geschäftsmethoden patentieren lassen, die bei uns in Deutschland oder Europa ausgeschlossen sind." Das wäre beispielsweise eine automatisierte Geldüberweisung. In Europa ist der Geldtransfer kein technisches Problem. Damit die Erfindung in Europa überhaupt dem Patentschutz zugänglich ist, muss damit aber ein technisches Problem gelöst werden. Und in Asien? Dort herrscht ein Flickenteppich. "Das deutsche Patent- und Markenamt pflegt einen regen Austausch mit dem koreanischen, chinesischen und japanischen Patentamt", berichtet Lederer. Das japanische Patentgesetz ist in einer ähnlichen Zeit wie das Deutsche entstanden. "Es gibt schon grundlegende Ähnlichkeiten, aber durch die Rechtsprechung hat es sich ein bisschen wegentwickelt". Was die KI oder computerimplementierte Anwendungen angeht, haben wir in Japan und auch in Korea relativ ähnliche Voraussetzungen. "In China ist es relativ schwierig."
Keine Patente zum LSTM-Algorithmus
Doch wie schützen Unternehmen KI-Projekte? "Ein Algorithmus selbst kann nicht als Algorithmus geschützt werden", erklärt der Anwalt. Eine Krux? Fast. Wenn ein Algorithmus in einem System, in einer Anwendung genutzt wird, dann wird er unter Umständen schützbar. Die Anforderung dabei: Man muss ein technisches Problem mit einem technischen Gegenstand lösen. Ein Beispiel: Wenn Alexa genutzt wird, um ein Musikstück von Bob Dylan vorzuspielen, dann wird damit meist kein technisches Problem gelöst. Wenn ein Anwender Alexa aber nutzt, um eine Werkzeugmaschine zu betreiben, dann wurde möglicherweise ein technisches Problem gelöst. "Und damit wäre es schützbar", so Lederer. Deshalb finden sich auch keine Patente für den LSTM- (Long Short Term Memory) Algorithmus von Schmidhuber und Hochreiter, wohl aber Weiterentwicklungen, die ein technisches Problem lösen.
Die technische Anwendung ist also schützbar, doch wem gehört der Produktivitätsfortschritt durch KI? Sollte eine Maschine dank KI mehr Leistung erbringen und ist beispielsweise ein Dienstleister in dieses Projekt eingebunden, dann gehört ihm dieser Gewinn. Klingt logisch. Aber was passiert, wenn eine Maschine mithilfe von KI einen neuen Werkstoff entwickelt? Wem gehört diese Erfindung? Dem Domainexperten (dem Werkstoffwissenschaftler) oder dem oder dem Data Scientist? "Das ist derzeit juristisch noch nicht ausreichend geklärt", gibt Lederer zu. So die Theorie. In der Praxis wird meist der Domainexperte der Patentanmelder sein, denn ihm wird die Erfindung zugeschrieben.
In Deutschland studieren Patentanwälte nicht regulär Jura. In der Vergangenheit studierten angehende Anwälte Maschinenbau, E-Technik, Chemie, Physik oder Biologie. Aber mittlerweile gibt es viele andere Fächer, wie Biochemie, Pharmazie und eben seit einiger Zeit auch Informatik. Thomas L. Lederer hat Informatik studiert und ist einer rund 50 Patentanwälten auf dem Gebiet in Deutschland. Nach dem Hochschulabschluss gehen angehende Patentanwälte in "die Lehre" bei einem Patentanwalt. In diesen drei Jahren absolvieren die Kandidaten an der Fernuni Hagen ein spezielles Studium "Recht für Patentanwältinnen und Patentanwälte". Dort bekommen sie die juristischen Grundlagen vermittelt. "Die gehen aber weit über den gewerblichen Rechtschutz hinaus", berichtet Lederer. "In der Lehre finden sich alle Rechtsgebiete wieder, die auch Rechtsanwälte machen müssen – außer Strafrecht." In Deutschland praktizieren rund 4.000 Patentanwälte. "Wir sind echte Spezialisten", ist Lederer stolz.
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