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Herr Sattelberger, bei der Telekom haben Sie einen Frauenanteil in Führungspositionen von 30 Prozent eingeführt. Die Bundesregierung hat die Quote zum Gesetz gemacht. Reicht eine solche Vorgabe, um das Ziel der Gleichstellung zu erreichen?

Wir haben bei der Telekom damals etwas ganz anderes getan als die aktuelle gesetzliche Regelung der Bundesregierung es jetzt vorsieht. Der Vorstand einigte sich 2010 auf eine freiwillige Selbstverpflichtung. Das ist ein fundamentaler Unterschied, ob Sie selbst von Ihrer Entscheidung überzeugt sind oder sie gesetzlich aufgedrückt bekommen. Mit der 30-Prozent-Quote für Aufsichtsräte in börsennotierten Unternehmen hat der Gesetzgeber ein Zeichen gesetzt, aber die flexible Quote für den Führungskörper von über 3000 Unternehmen war ein Schuss in den Ofen.

Frauenförderung ist in erster Linie keine Frage von Quoten, sondern von Kultur.

Die Unternehmen sollten selbstbestimmt Zielgrößen zum Frauenanteil in Führungspositionen festlegen. Also setzen sich die meisten einfach das Ziel, den gegenwärtigen Anteil zu halten. Kurz: Sie tun nichts. Da haben sich viele deutsche Unternehmen nicht mit Ruhm bekleckert.

Das macht aber auch deutlich: Frauenförderung ist in erster Linie keine Frage von Quoten, sondern von Kultur. Und Unternehmenskultur lässt sich nicht verordnen. Diversity Management funktioniert nur, wenn der Vorstand voll dahintersteht.

Sind deutsche Unternehmen bereit für diesen Wertewandel?

Im internationalen Vergleich hinken wir weit hinterher. Vielfalt wird bei uns oft nicht als Chance begriffen. Es geht bei dem Thema ja nicht nur um Geschlechterfairness, sondern um eine ganze Bandbreite. Warum gibt es in der deutschen Industrie überwiegend Ingenieure und Betriebswirte? Warum keine Politik- und Geisteswissenschaftler? Oder warum besitzen nur sechs Prozent der Führungskräfte einen Migrationshintergrund? Skandinavische und angelsächsische Unternehmen sind uns da zwei Jahrzehnte voraus. Auch weil Diversity in diesen Ländern ein systematischer Bestandteil der gesamten Bildungsarbeit ist.

Jetzt hat sich die Industrie erst einmal die Digitalisierung auf die Agenda gesetzt. Innovation scheint da wichtiger als Personalvielfalt.

Ein Fehler. Von wem sollen die Innovationen denn kommen, wenn nicht von den vielfältigen Menschen? Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen der Art, wie wir produzieren und der Art, wie differenziert wir Menschen behandeln. Allein schon diese Begriffe „Angestellter, abhängig Beschäftigter, Belegschaft“ … die stammen noch aus dem Kohlebergbau! Da ist der Einzelne ein Rädchen im Getriebe. Ein Nullum.

Von wem sollen die Innovationen kommen, wenn nicht von den vielfältigen Menschen?

Aus dieser Tradition heraus orientieren sich deutsche Firmen sehr viel mehr an Effizienz als an Innovation. Verständlich, das war schließlich das Erfolgsmodell der Industriegesellschaft. In unseren "Maschinenhäusern" ist Diversität nur Sand im Getriebe. Doch jetzt entsteht eine neue Form von Wirtschaft – eine digitale und kreative Wissens- und Dienstleistungsökonomie. Mit Effizienz allein kommen Sie da nicht weit. Deswegen haben wir den Ubers und Airbnbs dieser Welt jetzt auch nichts entgegenzusetzen.

Klingt pessimistisch.

Das bin ich gar nicht! Es gibt immer mehr Unternehmen, die Diversity Management vorantreiben. Ich habe vor Jahren das Thema Arbeitskultur 4.0 in Deutschland angestoßen, heute haben wir eine breite öffentliche Debatte darüber. Das freut mich dann auch als Rentner! (lacht)

Um Diversity umzusetzen, müssen wir zunächst die normierten, glattbügelnden HR-Prozesse beseitigen, wegen denen wir in moderner Sklavenhaltung feststecken. Verrückterweise schaffen jetzt gerade jene Unternehmen diese Systeme ab, die sie vor 30 Jahren eingeführt haben. General Electric das Performance Management und Bosch die variable Vergütung. Es entstehen vermehrt Karrierewege für Männer und Frauen über 40. Es gibt die Möglichkeit individueller Arbeitszeitgestaltung und des Job Sharings – auch bei Führungskräften. Das sind wichtige Schritte.

Sie sagen, Unternehmen müssten zu Talent-Biotopen werden, in denen jeder Einzelne gedeihen kann. Was heißt das konkret?

Wir müssen mit dem Normieren aufhören! Weg mit Macho-Kompetenzprofilen, die sagen: Eine Führungskraft hat präsentationsstark, konfliktbereit, durchsetzungsfähig und so weiter zu sein. Weg mit standardisierten Assessment Centern, wo junge Leute wie Hühner auf der Stange sitzen, sich verstellen und abgerichtet werden sollen.

Aber es sind nicht nur die Firmen gefordert, sondern jeder Einzelne. Jeder, Frau wie Mann, ist Unternehmer der eigenen Talente. Man darf nicht warten, bis eine fürsorgliche Autorität ihre segnenden Flügel ausbreitet und die Wohltaten der Förderung über einen regnen lässt. Mit einer Rundum-Bemutterungskultur werden wir den Sprung ins digitale Zeitalter nicht hinkriegen.

Mehr zum Thema erfahren Sie in der Keynote von Thomas Sattelberger am 29. April auf der HANNOVER MESSE. Gemeinsam mit Camille Johnston, US-Kommunikationsexpertin von Siemens und ehemalige Sprecherin von Michelle Obama, und Nadine Allen von Ericsson eröffnet der Vordenker den Karrierekongress WoMenPower .